QUEER IN UGANDA
by Jakob Keel
Queer in Uganda
Uganda ist ein homophobes Land. Viktorianische Strafgesetze, erzkonservative Politiker und Hass predigende Pfarrer, aber auch abergläubige Nachbarinnen und gewaltbereite Nachbarn machen ein produktives, friedliches und erfülltes Leben für LGBT Menschen unmöglich. Besonders schlimm wurde die Situation, als der ugandische Präsident Museveni und sein Parlament im Jahr 2014 ein Gesetz verabschiedeten, welches für LGBT Bürgerinnen und Bürger nicht nur wie bisher «nur» Gefängnisstrafen, sondern neu für besonders unverbesserliche Homos auch noch die Todesstrafe vorsah. Dies machte damals auf der ganzen Welt Schlagzeilen. Auf Druck der internationalen Gemeinschaft wurde dieses Gesetz ein paar Monate später zwar dann wieder für ungültig erklärt, dies aber machte dann keine Schlagzeilen mehr. Der Schaden war angerichtet und zwar auf fürchterlichste und nachhaltige Weise.
Der Einführung des sogenannten "Anti-Homo"-Gesetzes – es wurde in der lokalen Boulevardpresse gelegentlich auch das "Kill-the-gays"-Gesetz genannt – gingen Jahre von hitziger und meist auch aggressiver politischer und gesellschaftlicher Debatte voraus. Und diese wiederum war initiiert von evangelikalen Missionaren, die das Feuer der Homophobie anfachten wo und wie sie nur konnten. Sie zeigten zum Beispiel in ihren Kirchen Pornos zur Illustration ihrer Predigten, welche davon handelten, dass Schwule und Lesben es darauf abgesehen haben, Kinder zu "rekrutieren". (Wer sich darüber ein detaillierteres Bild machen möchte, dem sei der Dokumentarfilm "God Loves Uganda" von Roger Ross Williams empfohlen.) Das andauernde und lautstarke Gerangel um dieses drakonische Gesetz in einem Land, in dem 99% der Bevölkerung sehr religiös ist, in dem sich diese Religiosität mit sehr viel althergebrachtem Aberglauben vermischt, in dem heute noch Hexen verfolgt werden, in dem viele erst zum Schamanen gehen und erst wenn das nichts nützt ins Spital, in einem solchen Land bewirkte das eine geradezu hysterische Reaktion in der Bevölkerung. Journalisten outeten Privatleute mit Fotos auf den Titelbildern ihrer Zeitungen, Hausbesitzer entledigten sich hastig der Homosexuellen unter ihren Mietern, Geschäftsführer derer unter ihren Angestellten – aus Angst, sich sonst selber strafbar zu machen. LGBT Ugander verloren ihre Wohnung, ihre Arbeit, ihren Studienplatz. Und wenn sie erst mal geoutet waren, dann wurden die allermeisten auch von ihren Familien verstossen.
Viele LGBT Ugander müssen aus ihrer Heimat fliehen, und einige von ihnen gelangen in die Schweiz und ersuchten hier Asyl. So erfuhren wir aus erster Hand über diese schrecklichen Zustände. Diese Berichte bewogen uns, vor Ort zu recherchieren und uns ein eigenes Bild über die Situation zu machen. Ich reiste zusammen mit dem Fotografen Patrick Rohr nach Kampala, in die Hauptstadt des "Kill-the-gays"-Landes – das übrigens ein wunderschönes Land ist – um einen Einblick in den Alltag der LGBT Community zu bekommen. Durch unsere Kontakte in der Schweiz waren wir mit Aktivisten vor Ort vernetzt worden, die uns am Flughafen in Empfang und dann sozusagen bei der Hand nahmen, um uns eine Woche lang durch die erstaunliche LGBT Subkultur von Kampala zu führen.
Zum Beispiel zeigten sie uns eine Klinik, wo kostenlose HIV-Tests angeboten und Workshops zur Prävention von Geschlechtskrankheiten durchgeführt werden. Brant, einer der Leiter erklärte uns: "Am wichtigsten ist das Aufbauen und Erhalten von persönlichen guten Beziehungen zu Medizinern und Krankenpflegern in den lokalen Spitälern und Arztpraxen. LGBT's waren schon immer stigmatisiert in unserer Gesellschaft. Aber mit der Einführung der 'Anti-Gay-Bill' wurden sie plötzlich auch von den Ärzten nicht mehr behandelt, wurden vom Spitalpersonal ausgelacht und beschimpft." Man muss sich das einmal vor Augen führen: Als HIV-Positiver, beispielsweise, muss man regelmässig zur Blutentnahme. Aber anstatt dass eine fürsorgliche Krankenschwester einen mit ein paar aufmunternden Worten von der Nadel ablenkt, wird man, während man ihr den Arm hinhalten muss für die Blutentnahme, auch noch mit Vorwürfen für seine Sünden überhäuft. Und anstatt dass ein vertrauenserweckender Arztes mit einem den Behandlungsverlauf bespricht, wird man von ihm verhöhnt und erniedrigt. Brant jedoch war zuversichtlich: "Im Lauf der letzten zwei Jahre ist es uns jedoch gelungen, ein kleines aber beständiges und auch wachsendes Netzwerk aufzubauen, bestehend aus Medizinern und Krankenpflegerinnen, an die wir LGBT Patienten verweisen können. Das bedurfte vieler Gespräche; viel Aufklärungsarbeit steckt dahinter. Aber wenn wir Leute zu diesen Stellen schicken, dann wissen wir, dass sie dort professionell und respektvoll behandelt werden. Das ist schon ein riesiger Fortschritt."
Uns wurde bald bewusst, dass diese Klinik auch als Treffpunkt dient, wo viel geschwatzt und gelacht wird. Es war ein Kommen und Gehen, und die Gespräche unter den Anwesenden hörten sich an wie an jedem anderen Ort auf der Welt, wo LGBT's sich treffen. Hier kann man einfach mal sich selber sein, anders als draussen in der Öffentlichkeit, wo sie immer in Alarmbereitschaft sein müssen. Vor allem für diejenigen, die ihr Anderssein nicht gut verbergen können – besonders feminine Männer oder maskuline Frauen – ist der Alltag ein Spiessrutenlauf. Sie werden ständig angepöbelt, können sich auch nicht wehren, weil es sofort nur eskaliert und noch mehr Leute sich einmischen. Man kann nicht gewinnen. Aber hier in diesem sicheren Treffpunkt können sie zur Ruhe kommen, mit Freunden abmachen und bei den Leitern der Klinik Rat holen.
Im Lauf der Woche hörten Patrick und ich noch viele Geschichten, die uns begreifen liessen, wie wichtig solche Orte für die LGBT Community in Uganda sind. Lebensgeschichten von Betroffenen selber, aber auch die Gespräche mit Aktivisten zeigten uns, welche grosse Rolle solche informellen Selbsthilfeorganisationen hier spielen. Sie haben keine Lokalitäten mit einer Regenbogenfahne draussen über dem Eingang. Es sind diskrete Orte, die man kennen muss, um sie zu finden. Und oft ist es nicht mehr als eine Gruppe von engagierten Leuten, die heutzutage dank Email, Facebook und Whatsapp dauernd miteinander in Kontakt stehen und sich austauschen können, auch wenn einige kein offizielles Büro haben.
«Ebenfalls wichtig sind die Anlässe, die wir organisieren», erklärte Brant. "Wir fahren, getreu unserer Mission als Klinik, in die Kleinstädte und Dörfer hinaus, wo wir ganz offiziell Aufklärungsarbeit betreiben und Kondome verteilen. Und wo immer man hinkommt, lernt man an diesen Anlässen dann mindestens einen Schwulen oder eine Lesbe kennen. Leute, die sich erst zu erkennen geben, nachdem sie uns eine Weile beobachtet und Vertrauen gefasst haben. Mit denen bleiben wir dann in Kontakt und ermutigen sie, in ihrem eigenen Umfeld auch aktiv zu werden. Letztlich ist das Ziel, dass LGBT Ugander überall im Land erfahren, dass sie nicht alleine sind. Dass es andere gibt, die in derselben Situation sind, die ihnen beistehen können, und bei denen sie Rat bekommen." Und oft ist es eben nicht nur guter Rat, den sie benötigen, ergänzte Sandra, die Aktivistin, die uns in Kampala herumchauffierte: "Wenn jemand in Gefahr ist, bedroht wird oder vergewaltigt worden ist, dann muss man sofort eingreifen. Wir fahren hin, wir holen Leute an einem vereinbarten Treffpunkt ab und bringen sie in Sicherheit. Wir agieren schnell. Aber alles hängt aber davon ab, ob jemand in einer solchen Situation überhaupt je zuvor erfahren hatte, dass es Organisationen wie uns gibt und vor allem, wie man uns erreichen kann."
In der Hauptstadt Kampala selber scheint es jedoch eine eigentliche LGBT Subkultur zu geben, die selbstbewusst und auch präsent ist, die aber halt für unsere ungeübten europäischen Augen nicht so einfach erkennbar war. Schwule und Lesben wissen, wo sie Gleichgesinnte treffen, in welcher Bar oder welchem Café der Wirt tolerant ist und sich freut, gut konsumierende Kunden zu haben. Es gibt auch Freundeskreise, die Geld zusammenlegen und irgendwo einen Raum organisieren, um hinter verschlossenen Türen ein Fest zu feiern oder eine Drag-Show aufzuführen. Es bietet sich sogar die Gelegenheit, im grösseren Stil zu tanzen und zu feiern, wenn jemand die richtigen Fäden in der Hand hat. Eine verlassenes Industriegebäude, zum Beispiel, und eine gute Beziehung mit dem Chef des nächsten Polizeiposten, und schon kann's auch eine veritable Disco geben. Aber eben, man weiss halt doch nie, wie der Abend enden wird. Ob's nicht doch eine Razzia gibt; ob nicht doch Polizisten einen an den Haaren in einen Kastenwagen zerren; ob nicht doch ein Freund auf einmal zum Feind wird und einen erpresst und Schweigegeld fordert mit der Drohung, sonst Familie und/oder Karriere zu zerstören.
Diese Anspannung und ängstliche Ungewissheit als Grundzustand des Befindens, dieses ewige Versteckspiel im Alltag, all dies ist zermürbend. Aber offenbar immer noch erträglicher, als die fatalen Konsequenzen eines Outings es wären. Und dennoch haben die Aktivisten Hoffnung. "Wenn wir es schaffen, unabhängig zu werden von denen, die uns das Leben schwer machen, dann haben wir viel gewonnen", meinte Isaac, einer der Initiatoren von ‘Pride Uganda’ ist, ein selbstbewusster und gebildeter junger Mann. "Prostitution darf nicht die einzige Option bleiben für die, die von zuhause abhauen und auf der Strasse landen. Wir müssen in unserer Community Fähigkeiten und Fachwissen vermitteln. Wir müssen herausfinden, wofür jemand ein Talent hat und dieses fördern." Er selber weiss am besten, dass dies nicht so einfach ist, wie es klingt. Aber dennoch: Wenn ein LGBT Individuum es nur schon schafft, keinen Boss zu brauchen und sich stattdessen selbständig ein kleines eignes Einkommen zu sichern, dann ist das schon ein Stück Unabhängigkeit, das einem das Überleben sichern kann. Ebenso wenn jemand eine eigene Hütte besitzt, und somit keinen Vermieter mehr braucht. Isaac träumt von einer LGBT Kommune, die sich durch Landwirtschaft selbst versorgen könnte und wo Verfolgte Zuflucht finden könnten.
Es wäre vermessen zu behaupten, ich hätte in dieser einen Woche in Kampala nun vollumfänglich verstanden, wie das Leben von LGBT Ugandern wirklich funktioniert. Aber ich habe begriffen, dass es ungemein viel komplizierter ist als ich es mir vorgestellt hatte, auch nur schon den ganz normalen Alltag zu meistern. Und dass man als Schwuler, als Lesbe und erst recht als Trans-Mensch der Willkür der Behörden und der Selbstjustiz seiner Mitmenschen letztlich immer schutzlos ausgeliefert ist. Auch wenn wir uns als europäische Touristen selbst in formaler Sicherheit wiegen konnten, war es ein unheimliches Gefühl, in diesen dichtbevölkerten Armenvierteln auf Reportage zu gehen. Es wurde mir bewusst, wie ein ganz bestimmtes, grosses Gut, welches wir für uns hier in der Schweiz ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen und das ist Privatsphäre; etwas, das an solchen Orten schlicht nicht existiert. Alle wissen von allen alles – wann sie kommen, wann sie gehen, was sie tun und was sie haben. Dies trifft auf sämtliche Bewohner gleichermassen zu, nicht nur auf LGBTs. Wenn man in so engen Verhältnissen lebt, ist es fast unmöglich, auch etwas noch so Banales geheim zu halten – ein neues Paar Turnschuhe, eine neue Bekanntschaft, eine Krankheit. Alles wird registriert, alles wird kommentiert. Nun müssen wir uns vorstellen – oder versuchen, vorzustellen – was es bedeuten muss, in solchen Verhältnissen seine eigene Identität geheim zu halten. Es ist ein Dauerstress, ein tiefes Leiden, und eine ohnmächtige Verzweiflung.
Jakob Keel
Rainbow Support Network
Stiftungsratspräsident
Fotos (c) Patrick Rohr, Jakob Keel